Auslesekriterien für verbesserte Varroatoleranz in der Imkerpraxis

Nach einem Vortrag
anlässlich des Imkertages in Ellange (Lux).
vom Sonntag 25. 10. 09
Paul Jungels,
Ewicht Gaass 1a,
LU-9361 Brandenbourg.
Web : www.apisjungels.lu
Mit Genehmigung
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Der Autor: Paul Jungels.

Zwei Beobachtungen bewegen Imker und Wissenschaftler seit Beginn der Varroaepidemie:

Weltweit wurde und wird bis heute die Erblichkeit für Varroatoleranz relevante Verhaltensmuster erforscht und auch bestätigt.  Demnach besteht die Möglichkeit, unsere Bienenstämme schrittweise durch geeignete Auslese der Elterntiere zu verbesserter Varroaverträglichkeit hin zu selektieren.  Angesichts der Tatsache, dass wir derzeit unsere Bienenvölker nur mittels Einsatz mehr oder minder bienenfeindlicher milbentötend wirkender Fremdstoffe vor massiven Schäden bewahren können sowie im Hinblick auf unser Bestreben möglichst reine Bienenprodukte zu gewinnen ist verbesserte Varroatoleranz ein sinnvolles wenngleich komplexes Unternehmen. Wohlgemerkt, dieser Beitrag behandelt nicht betriebstechnische Aspekte wie Schwarmbienenzucht, Ablegerbildung, Drohnenbrutschneiden u.A., welche zweifelsfrei bei richtiger Handhabung positiven Einfluss auf die Milbenvermehrung ausüben.  Betriebstechnische Maßnahmen der Völkerführung jeglicher Art unterliegen immer dem Nachteil keine nachhaltige Lösung eines Problems darzustellen.  Ganz zu schweigen von anderen schwerwiegenderen Nachteilen.

Vorbedingungen

Ziel aller Selektion und Zucht ist die gezielte genetische Anpassung an eine gegebene Lage.  Grundlegende Vorbedingung effektiver Selektion ist die Gleichstellung der zu vergleichenden Völker in physiologischer Hinsicht sowie eine effektive Ausschaltung möglichst aller Nebeneffekte in Bezug zu den zu beobachtenden Eigenschaften.  Vorbedingung für Selektionsarbeit ist daher Methode und System in der Betriebsweise.  Der österreichische Carnicazüchter Harald Singer erwähnte anlässlich eines Vortrages beim KV Capellen 2001 in diesem Zusammenhang den enormen Vorsprung der Buckfastzüchter in Europa: nahezu alle arbeiten in ganz ähnlichen Beuten bei ganz ähnlicher (Bruder Adam) Betriebsweise und erreichen hierdurch natürlich eine hohe Vergleichbarkeit ihrer Resultate.

Für die Praxis gilt: Altvölker, Jungvölker, abgeschwärmte Völker, geschröpfte Völker, frisch umgeweiselte Völker, Ableger, Schwärme, Drohnenvölker, dazu Völker in verschiedenen Beutensystemen und Betriebsweisen kann man nicht vergleichen.  Man muss den Betrieb, oder zumindest den zu prüfenden Stand als Einheit aufbauen und bewirtschaften:

In unserem Betrieb werden bei allen Völkern nach dem hinreichend bekannten Schema elf Kriterien bis Jahresende bewertet.  Hinzu kommt bei potenziellen Zuchtmüttern eine weitere Überwinterung.

Mindestens fünf Bewertungen spielen eine größere Rolle in Bezug auf Varroatoleranz.

1) Krankheitsresistente Brut und virenresistente Bienen

üben kaum Einfluss aus auf die Vermehrungsrate der Milben.  Allerdings erkranken gewisse Völker bei höherem Varroadruck oft schleichend und unerkannt an Symptomen der gutartigen Faulbrut aber auch der Sackbrut, einer Viruserkrankung welche Brut und erwachsenen Bienen befällt.  Alarmant wird der Ausbruch von Viruskrankheiten welche die verkrüppelten Bienenflügel als auffälligstes Symptom haben.  Fällt diese Krankheitsphase in die Zeit wo die Völker die Winterbienen brüten, sind anfällige Völker rettungslos verloren.

Das Frühjahrsbrutnest eines gesunden Volkes ist bekanntlich nahezu geschlossen.  Erst im Laufe des Sommers entwickeln sich bedeutende Unterschiede.  Brutlücken gegen Ende der Saison bedeuten nicht unbedingt kranke Brut.  Sehr oft räumen hygienische Völker ab Mitte Juli viele mit Varroamilben befallene, an sich aber „gesunde“ Brutzellen aus.  Aber auch kranke Brut wird von hygienischen Völkern ausgeräumt.  Gesunde verdeckelte Brut erkennt man an der klaren Prägung jeder einzelnen Zelle, selbst bei stärkeren Brutlücken (Abb. 1).  Die Vorstufen kranker Brutnester wirken hingegen in ihrem rein optischen Erscheinungsbild oft schwammig.

Schöne gesunde Brut
Abb. 1. — Gesunde Brut erkennt man an der gleichmässigen Struktur und Hochwölbung der einzelnen Zelldeckel. In solchen Völkern werden Sie keine Brutkrankheiten finden. Gesunde Brut und gesunde Bienen sind die wichtigsten Selektionsmerkmale überhaupt.

Beim Einlegen der Bienenfluchten Ende Juli ergibt sich eine besonders gute Gelegenheit zur Beurteilung der Brutnester.  Erst nach dem Entfernen der Bienen auf einer kurz vor dem Schlupf stehenden Brutwabe werden alle Details sichtbar.  An frisch schlüpfenden Bienen und an der Volksmasse kann man den Gesundheitszustand des Volkes recht zuverlässig ablesen.  Um Völkerverlusten vorzubeugen lohnt sich genau diese Kontrolle wie keine andere Maßnahme.  Völker welche um diese Zeit Anzeichen von Brutanomalien und Krankheiten der erwachsenen Bienen zeigen müssen sofort umgeweiselt werden.

2) Langsame Vermehrung der Milben in Völkern mit viel Brutleistung

Die Bewertung der Brutleistung, als Vorstufe zu Volksstärke, ist aus vielerlei Hinsicht interessant.  Fruchtbare Völker sind mit Sicherheit leistungsfähiger, sofern der Imker mit solchen Völkern umzugehen weiß.  Sie verbrauchen wohl mehr Eigenfutter, sind dafür allerdings stressunempfindlicher.  Die Varroamilbe vermehrt sich in fruchtbaren Völkern tendenziell stärker als in Hünglertypen, aber eben nur tendenziell und nicht generell.  Die langsame Vermehrung der Milben bei hoher Brutleistung ist ein untrügliches Zeichen für eine gebremste Fertilität der Varroamilben.  Die Gründe hierfür können unterschiedlicher Natur sein.  Die Auslese auf wenig Milben bei guter Brutleistung bleibt bis auf weiteres neben allen Gesundheits- und Vitalitätsaspekten das wichtigste Auslesekriterium bei Varroatoleranz, selbst dann, wenn die Mechanismen welche hierzu führen nur teilweise bekannt sind.

Während der Schwarmkontrollen ergeben sich Gelegenheiten zu Notizen über den Brutumfang der Völker, später im Jahr wird ggf.  korrigiert.  Nach dem Abschleudern erfolgt Anfang August die Varroabehandlung.  Acht Tage später wird bei allen Völkern die bei Behandlungsbeginn gesäuberte Bodeneinlage der Gitterböden ausgewertet (Abb.  2 & 3).  Hierbei müssen in der Regel nicht Milben gezählt werden.  Für die Praxis genügt die Einteilung der Völker in „wenig“, „viel“ und „mittel“.  Interessant für die Weiterzucht sind Völker, welche bei hoher Brutleistung einen mittleren oder niedrigen Milbenabfall zeigen.

Blick wenig Varroa Blick auf viele Milben
Abb. 2 & 3. — Sofern es nicht um wissenschaftliche Arbeit geht, braucht man Milben nicht zu zählen.  Interessant sind Völker mit auffallend wenig und mit auffallend vielen Milben nach der Hauptbehandlung.

3) Hygiene und Ausräumverhalten (HYG+)

Die Resistenz der Völker gegenüber Brutkrankheiten verschiedener Art ist gewiss genetisch bedingt.  Ebenso das Entfernen kränkelnder oder gar abgestorbener Brutzellen durch die Bienen.  Beide Eigenschaften sind aber nicht unbedingt gekoppelt (Abb. 4 & 4a).  Um bösen Überraschungen vorzubeugen verlangt die heutige Bienenhaltung auch abgesehen von der Varroamilbe nach einer Koppelung beider Eigenschaften.  Der Hygienestatus eines Volkes lässt sich relativ leicht ermitteln durch den sog Nadeltest, wo verdeckelte Brut einheitlichen Alters mittels dünner Nadel durch den Zelldeckel hindurch abgestochen wird.  12 bis maximal 20 Stunden später kann man den Hygienestand verschiedener Völker durch Auszählen vergleichen (auf gleiche Bedingungen, gleichen Standort, etc.  achten).

Mit der bei uns als „Marla Spivac Methode“ bekannten Unterkühlung kleiner Brutkreise mittels Konservendose und flüssigem Stickstoff kann man systematisch und relativ schnell ganze Stände testen.  Noch schneller ist die Anwendung von Hitze in der Konservendose.  In allen Fällen geht es darum, kleine verdeckelte Brutkreise einheitlichem Alters zu schädigen.  Untersucht und bewertet wird 12 bis 20 Stunden später das Ausräumverhalten vergleichbarer Völker auf dem gleichen Stand.  Bei der endgültigen Auswahl der Zuchtvölker im Frühjahr wenden wir derartige Tests seit vielen Jahren an, nämlich dann, wenn es darum geht unter scheinbar gleichwertigen Zuchtköniginnen einer Linie entscheiden zu müssen.

Blick auf gesunde Brut aber HYG- Ansicht von erkrankten Brut, aber HYG+
Abb. 4 & 4a. — Das erfieren kleiner Brutflächen mit flüssigem Stickstoff ist relativ einfach und bei einiger Fingerfertigkeit recht sicher.  Die mit der Beutennummer versehene Wabe wird markiert und fotografiert.  Zusammenarbeit mit den belgischen Kollegen vom CARI.

4) Hygienetests bei der Auswahl der Drohnenvölker.

Photo du test à l'azote
Abb. 5. — Blick auf einen Brutwabe während
der Prüfung mit Stickstoff.

Der Befund, dass ein Volk allen Hygieneanforderungen entspricht, will nicht bedeuten, dass diese Eigenschaftskombination sich in allen Nachzuchten wiederfindet.  Zusätzlich zum normalen Spiel der Erbanlagen bei der Reduktionsteilung spielt ein weiterer Faktor: Ein Bienenvolk besteht väterlicherseits aus 15-20 Gruppen von Superschwestern, entsprechend der Anzahl der Drohnen, welche die Volksmutter begatteten oder mit denen sie besamt wurde.  Das Kommunikationssystem eines Volkes bewirkt, dass oft wenige Gruppen eine Eigenschaft im Volk loslösen können.  Will man also mühsam erzüchtete Eigenschaftskombinationen in Nachzuchtgenerationen verankern, so ist eine weitere Selektion innerhalb der Drohnensippe welche für die Zucht in Frage kommt notwendig.  Als Beispiel sei hier die Drohnenlinie P133H aus dem Jahre 2008 angeführt, da sie von belgischen Kollegen als besonders hygienisch angesehen wird: Ausgehend von 49 im Herbst 2007 in Ertragsvölker eingeweiselten Schwesterköniginnen, alles Töchter der Zuchtmutter 133, welche sich auf einem der Überlebensstände als sehr krankheitsresistent und varroatolerant erwies, wurde eine Auswahl von 32 Völkern einem Hyg-Test unterzogen.  Die 11 besten dienten 2008 als Drohnenspender (Abb. 5).  Selbst hier gilt: Jedes von diesen Königinnen abgelegte Ei das sich zu einem Drohn entwickelte war einer Reduktionsteilung unterworfen, - mit eventuellen negativen Folgen bezüglich der angepeilten Eigenschaft.

Ein weiterer, erweiterter Aspekt der Volkshygiene bezeichnet man als VSH ...

5) VSH (Varroa Sensitive Hygienic)

Foto Brut VSH
Abb. 6. — Vue d’un rayon de couvain VSH+ en fin de saison.  Les flèches indiquent les cellules infectées et détectées par les abeilles.  Ces cellules doivent encore être nettoyées.

Bereits Prof. Friedrich Ruttner berichtete von Völkern, in welchen die Milben größtenteils unfruchtbar blieben.  Dr. Marla Spivac deutete anders herum: In manchen Völkern wird Mehrfachmilbenbefall der Brutzellen (also erfolgreiche Vermehrung) erkannt und von den Bienen ausgeräumt.  Bei Brutuntersuchungen findet man dann, je nach Ausprägung der Eigenschaft, einen mehr oder minder hohen Prozentsatz parasitierter Brutzellen ohne Jungmilben, also Nachkommen.  Hierdurch wird die Entwicklungsdynamik der Milbenpopulation empfindlich gestört.  Das Brutnest solcher Völker sieht gegen Ende der Saison mosaikartig aus, die Brut ist aber nicht unbedingt krank.  Wir werden in den nächsten Jahren versuchen, potenzielle Zuchtvölker auf diese Eigenschaft hin zu überprüfen: Ende Juli/Anfang August (also vor der Hauptbehandlung) werden von diesen Völkern größere verdeckelte Brutflächen mit mindesten 17 Tage alten Puppen (die Augen sind deutlich gefärbt) eingefroren (Abb. 6).  Die Untersuchung und Auszählung kann dann im Winter erfolgen.  Die kommende Züchtertagung der FUAL Zuchtgruppe wird sich intensiv mit diesem Thema befassen.

Möglichkeiten, Grenzen und Hintergründe, die Vielfalt im Bienenvolk

Bei der Einzelbiene wie bei Gruppen von Superschwestern geht eine Eigenschaft i.d.R.  auf eine Gruppe von Genen zurück.  Die additive Wirkung welche mehrere Gene entwickeln und deren Wechselwirkung sind bekannt, genau wie das Kommunikationssystem im Volk, was sich nicht auf die Sammeltätigkeit beschränkt.

Gengruppen, welche in ihrer Gesamtheit eine Eigenschaft hervorbringen, existieren innerhalb einer Art gewiss nicht nur in einer einzigen Form.  Vielmehr muss man davon ausgehen, dass man auch andere Formen findet welche ähnliches Verhalten bewirken.  Ohne sich jetzt zusätzlich in Dominanz oder Rezessivität zu verlieren, kann ein Bienenvolk, bedingt durch die Vielfachpaarung, in sich eine enorme Variation an Möglichkeiten summieren.  Wir müssen verstehen lernen, dass ein solches Bienenvolk aus seiner inneren Vielfalt heraus für fast alle Bedürfnisse Reaktionen auslösen kann.  Diese Reaktionen können, genetisch gesehen, initial auf die eine oder die andere Gruppe von Bienen zurückgehen.  Zweckdienlich muss die Reaktion auf ein Bedürfnis so erfolgen, dass dabei andere Bedürfnisse nicht untergehen und gewisserweise „vergessen“ werden.  Für ein Bienenvolk sind nicht Überreaktionen sondern vielmehr die Vielfalt an Reaktionsvermögen überlebenswichtig.

Einige Beispiele die der praktische Imker nachvollziehen kann: Scheinbar alle Priorität liegt im zeitigen Frühjahr bei einem enormen Drang Brut zu pflegen und entsprechend Pollen zu sammeln.  Später wendet sich die Priorität zum Nektarsammeln, obwohl eigentlich in der Natur noch mehr Pollen vorhanden ist.  Aber Honigvorräte müssen eben nun angelegt werden, da die Nektarquellen sprudeln, und nicht irgendwann.  Gegen Ende der Saison steigt die Wichtigkeit der Erbrütung von Winterbienen und die Verteidigung des Fluglochs gegenüber Räubern.  Ein Bienenstamm der bei einer späten Melezitosetracht im September nicht die Flexibilität und die Fruchtbarkeit besitzt, dann eben im Oktober nochmals neue Winterbienen zu brüten, wird diese späte Tracht nicht überleben.

Ähnlich bei Varroa oder Hygiene.  Ein Bienenvolk zu züchten welches nur mit den Milben zurecht kommt (oder HYG, HYG+, VSH+, etc.) ist ein Schritt.  Davon eine stabile Linie oder Familie zu züchten ist schon schwieriger, man benötigt wegen der Inzucht mehrere Varianten ähnlicher Anlagen.  Eine Population zu erschaffen welche überwintert, Honig erzeugt, krankheits- und varroaresistent ist, ja Bienen zu züchten welche im gesamten Jahresablauf nichts „vergessen“ und auch sonst den Imker begeistern ist das Ziel.  Jeder Schritt der diesem Ziel näher kommt ist ein Erfolg.
Ich bleibe dabei: da die unerbittliche Naturauslese für Honigbienen in menschlicher Obhut ad acta gelegt wurde, besteht geradezu die Notwendigkeit, dass die breite Imkerschaft gezielte Vermehrung nach Auslese auf Krankheitsresistenz und Vitalität in die gängige Imkerpraxis integriert.  Die breite Imkerschaft besitzt diesbezüglich ungeahnte Möglichkeiten sofern sie sich nicht durch Nebenschauplätze ablenken lässt.

Am Sonntag 25. October 2009
 
 
 
 
Paul Jungels,
Ewicht Gaass 1a,
LU-9361 Brandenbourg.
Web : www.apisjungels.lu
Mit Genehmigung