Bienenzüchtungskunde

 

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von Professor, Doktor
Ludwig Armbruster
Theodor Fisher Verlag 
1919

 

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Blutauffrischung in der Form des Importes fremder Zuchttiere

Man könnte einwenden, die Blutauffrischung ist doch in der Form des Imports nicht nötig.  Man gehe, statt fremdes Blut hereinzukreuzen, einfach von zwei einheimischen, stark verbastardierten Tieren aus.  Deren Nachkommenschaft muß sich auch aufspalten nach den Spaltungsgesetzen, und von diesen so erhaltenen Typen suche man die aus, welche gewünschte Eigenschaften in gewünschter Kombination haben.  Dagegen ist erstens zu bemerken: Wer auf „stark verbastardierte“ Zuchttiere angewiesen ist, der kann der „Blutauffrischung“ nicht entraten; ob sie mehr oder weniger zurückliegt, ist ziemlich nebensächlich.  Wenn sodann die zwei einheimischen Zuchttiere, die man kreuzt, nicht genau die gleiche Erbformel haben, dann ist die Aufspaltung nicht so rein, nicht so klar, und wir kennen dann die Erbformeln der einzelnen Tiere kaum annähernd.  Vor allem ist dann die Aussicht, daß gerade die allerwertvollsten neuartigen Typen, z. B. Nr. 16, auftreten, überhaupt nicht vorhanden.  Zwei einheimische rassenreine Tiere von genau den gleichen Erbformeln wird man aber faktisch nicht erhalten.

Würde man, wie die Königinzüchter von heute, Zuchtbienen möglichst aus der engeren Heimat beziehen, „wobei die Grenzen ziemlich weit gesteckt sein dürfen“ (Zander, Zukunft der deutschen Bienenzucht, 2. Aufl. 1918, S. 67), und mehrere solcher Stämme rein züchten durch Inzucht, dann hätte man zwei reine Zuchttiere von verschiedener genotypischer Zusammensetzung (verschiedenen Erbformeln).  Man hätte zwar Blutauffrischung getrieben, aber ohne „blödsinnigen Import“ von weither, und würde ungefähr züchten können nach den bisherigen Musterfällen (Abb. 15).  In „F2“ wäre eine Aufspaltung zu erwarten, aus der man dann die allerschönsten Kombinationen auslesen und zur Weiterzucht benutzen könnte: Kombinationszucht ohne eigentliche Blutauffrischung durch Import.

Aber so viel können wir getrost prophezeien, diese Aufspaltungsausbeute wird, zumal bei der Biene mit ihrem merkwürdigen Mannesstamm, so gering sein, daß man sie kaum oder gar nicht feststellen kann.  Auf der Suche nach glücklichen Kombinationen wird man nicht weit kommen.  Sobald wir nämlich zwei wirklich einheimische Bienenstämme durch Inzucht herauszüchten, so werden wir finden: je reiner die Tiere mit der Zeit werden, um so ähnlicher werden sie einander im Äußeren und in der Erbformel.  Unterschiede sind zwar grundsätzlich möglich, wir müssen aber besonderes Glück haben, wenn wir gerade solche Ausgangstiere erhielten, die zu diesen Unterschieden führen.  Wenn wir aber Tiere kreuzen, die in der Erbformel ähnlich sind, die sich in nur wenigen Eigenschaftspaaren unterscheiden, dann wird die Aufspaltung in „F2“ und damit die Möglichkeit des Auftauchens fortschrittlicher Kombinationen sehr ärmlich ausfallen.  Es wird wenige neue Typen geben, und diese Typen werden sich um so näher stehen, je mehr die Elterntiere (beide „echt einheimisch“) sich gleichen.

Sind wir bei der Auswahl der Zuchttiere nicht auf zwei echt einheimische gestoßen, sondern ist der eine der beiden Eltern etwa ein „Italiener Bastard“ gewesen, dann werden bei der Inzuchtsvorarbeit auf hellste Italiener-Farbe eben die italienischen Farbenfaktoren von den deutschen Farbenfaktoren befreit, und wir bekommen einerseits reine Italiener-Farbentypen neben rein deutschen.  Dieses Zuchttier wird in der einen (Farben-) Eigenschaft sich zwar sehr deutlich von der einheimischen Rasse unterscheiden — es wird darum auch hinsichtlich der Farbe eine deutliche Aufspaltung erfolgen —, durch die Inzuchts-Vorarbeit können aber außer der hervorstechendsten Italiener-Eigenschaft, nämlich der Italiener-Farbe, durch Kombinationszucht ein guter Teil der übrigen Italiener-Eigenschaften (etwa Honigeifer, sanftes Temperament, die man schon als Vorzüge der Italiener pries) ersetzt worden sein durch einheimische [Die Ausgangszuchttiere würden sich dann möglicherweise nur in der einen einzigen Eigenschaft Farbe unterscheiden.  Fortschrittliche Kombinationen wären dann wiederum fast unmöglich.].

Bezieht man aber Tiere fremder Rassen aus einem kulturfremden entlegenen Winkel mit gleichmäßig auffallend abweichenden Eigenschaften, dann hat man Aussicht, Tiere zu erhalten, die sich von den unserigen in ziemlich vielen, auch in wirtschaftlich wichtigen Eigenschaften unterscheiden, die dann zudem auch mehr oder weniger rein sind in bezug auf einen großen Teil dieser Eigenschaften.  Denn wenn in entlegener Gegend ein einheimischer Tierschlag sich in ausgeprägter Eigenart einheitlich erhält, dann ist das wohl nur möglich, wenn der Tierschlag in den Eigentümlichkeiten rassenrein ist.  Die Inzucht innerhalb der Rasse hatte die Natur in dem entlegenen, abgeschlossenen Winkel in die Hand genommen, und der Züchter vermag sie dann als Züchtungsvorarbeit leichter zu vervollständigen.

Diese Blutauffrischung in Form von Import stellt also folgende Vorteile in Aussicht:

  1. die züchterische Vorarbeit ist meist verkürzt,
  2. die Aufspaltung bringt sehr zahlreiche Typen, und
  3. diese zahlreichen Typen unterscheiden sich auch deutlich.

Wenn die fremde Biene auch schlechte Eigenschaften hat neben guten, dann ist das noch kein Grund, sie von der Zucht auszuschließen.  Der Züchter verschmäht das Schlechte, schält aber das Gute heraus aus der Verbindung mit Schlechtem, zumal wenn, er es anderweitig nicht erhalten, kann.  Wie oben gezeigt worden ist, schaden einzelne schlechte Eigenschaften an einem P-Tier nichts, wenn der sachkundige Züchter hernach scharfe Auslese hält und jene Typen auswählt, welche die guten einheimischen Eigenschaften besitzen und die guten fremden Eigenschaften vereinigt, und zwar dauernd vereinigt, haben.  Dies ist der Fall bei den vielfach rassenreinen Tieren, das sind solche, welche in allen guten Eigenschaften homozygot sind.

Den Imkern, welchen diese Importexperimente gefährlich erscheinen, sei zur Beruhigung ausdrücklich zugegeben: das Experiment darf nur von geschulten Züchtern, die, mit den exakten Vererbungsgesetzen wohlvertraut sind, ausgeführt werden.  In der Hand des Stümpers könnte in der Tat die blinde Sucht, Exotisches hereinzukreuzen, zum Unsegen für die Imkerei ausschlagen.  Auch wurde oben die Italienerrasse nicht aus einer besonderen Vorliebe für sie herangezogen, sondern nur als Beispiel.

Wenn auch diese Ausführungen über die Blutauffrischung etwas revolutionär erscheinen, sie sind wohlbegründet in der exakten Vererbungsforschung und in ihren praktischen Erfolgen während der letzten beiden Jahrzehnte.  Schon um dieser praktisch so wichtigen Erkenntnisse willen lohnt es sich wohl, die Mendelspaltung in den bisher erwähnten Fällen sich gründlicher anzusehen

Wir wiederholen:

Wohlerwogener Import kann in der Hand des sachkundigen Züchters folgende Vorteile haben: 1.  Verkürzung der Inzuchtsvorarbeit; 2.  zahlreichere, 3.  deutlicher unterschiedene Typen bei der Aufspaltung.

 

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inländische Fundstellen wertvoller Erbfaktoren

Für den modernen Züchter ist die Entdeckung wertvoller Erbfaktoren die Hauptsache; wo er sie findet, ob in guter Oder schlechter Umgebung, ob nah oder fern, das sind für ihn Fragen zweiten Ranges.  Es wäre immerhin möglich, daß bei der Biene auch im Inland noch seltene wertvolle Erbfaktoren sich finden und dann verwenden ließen.

Es empfiehlt sich, auf diese Fundstelle hinzuweisen im Zusammenhang mit Import- und Züchtungsfragen.  Es handelt sich da um drei Dinge: Inlandsseltenheiten, Import und Massenzüchtung, die bei klugem Vorgehen sich aufs schönste ergänzen, bei Unbedachtsamkeit aber sich empfindlich und unrettbar gegenseitig schädigen könnten.

Es scheint dem Verfasser nicht ausgeschlossen, daß es im Inlande noch ganz vereinzelt Striche gibt, die von der Bienen-Neuzeit (Königinzucht, Bienenhandel und Wanderbienenzucht, Mobilbetrieb) unberührt geblieben sind.  Angenommen, es gäbe kleinere Einzelbienenstände oder eng geschlossene Gruppen von solchen, bei denen seit Urgroßvaters Zeiten Bienen gehalten wurden, bei denen aber nie Völker, schwärme oder Königinnen hinzugekauft wurden, und die so isoliert liegen, daß sie einen guten Belegplatz im heutigen Sinne abgeben würden, dann wäre Aussicht vorhanden, eine Biene zu finden, die mehr oder weniger rassenrein in mehreren Eigenschaften ist, in der vor allem Erbfaktoren sich in homozygotischem Zustand befinden, welche eine inländische Seltenheit oder gar ein inländisches Unikum darstellen.  Es wäre auch denkbar, daß diese Faktoren in der jetzigen Verbindung, also bei den Bienen, wie sie auf besagtem Stande fliegen, nicht richtig zur Geltung kommen, nicht voll sich auswirken können, durch einen zielbewußten Züchter jedoch mit anderen Faktoren zusammengebracht ein erstklassiges Zuchtprodukt abgeben würden.  Ein solches Bienenvorkommen würde wahrscheinlich auch äußerlich sich von den landläufigen Bienen unterscheiden, wenigstens für das geschulte Auge, jedenfalls aber nicht so deutlich wie das exotische Material.

Als erste Züchteraufgabe bezeichneten wir: gute Eigenschaften erhalten; eine Vorbedingung hierfür lautet aber: gute Erbfaktoren erhalten, ja sogar möglichst viele Faktoren erhalten.  Denn wir müssen uns eingestehen: auch die Züchtungsbestrebungen, und zwar sowohl bei Pflanzen als bei Tieren, können eine Schattenseite haben; sie werden die Zahl der guten Rassen vermindern, sie werden aber, wenn sie zum Gemeingut geworden sind (wie jetzt bei der Bienenzucht Aussicht vorhanden ist), die Vertreter der einzelnen guten Rassen erheblich vermehren.  Es wäre also denkbar, daß bei uns in Deutschland auf fast allen Ständen nur noch Edelbienen (Abkömmlinge von Zuchtköniginnen) von verhältnismäßig wenigen Rassen mit guten Erträgen fliegen.  Das wäre volkswirtschaftlich zu begrüßen.  Der eine Nachteil sei aber nicht verschwiegen: die Zahl der in Deutschland vorhandenen Bienen-Erbfaktoren würde sich vermindern.  Denn so und so viele Landbienen-Königinnen würden verdrängt, Bienenköniginnen, von denen die eine oder andere noch ganz absonderliche Erbfaktoren enthalten haben mag.

Man kann sich aber wohl trösten über diese eine Schattenseite.  Der Verlust wäre vielleicht mehr nur im wissenschaftlichen Interesse zu beklagen.  Die starke Ausbreitung braucht auch nicht gleichbedeutend zu sein mit vollständiger Ausrottung der Landbiene.  Grundsätzlich genügt es ja für den Fachzüchter, wenn ihm nur vereinzelte Vertreter mit seltenen Erbfaktoren erhalten bleiben.

Bei der Streitfrage, Lokalbiene oder Import, ist vom modernzüchterischen Standpunkt auf jeden Fall die Mahnung am Platze: das eine tun, das andere nicht lassen.  Es gibt Tierarten und Pflanzenvarietäten, die man sogar trotz ihrer Schädlichkeiten zu erhalten bestrebt ist; es gibt Naturschutzparke, zoologische und botanische Gärten, in denen man solche Naturdenkmäler ohne Rücksicht auf ihren Nutzen oder Schaden erhält.  In dieser Züchtungskunde, in der wir dem Import eine wichtige Rolle zuwiesen, wollen wir nicht unterlassen darauf aufmerksam zu machen: Wir müssen auch einlebendes Inventar von möglichst vielen Erbfaktoren sammeln und erhalten.  Denn für den Züchter gilt wie für den Mosaikkünstler: je größer die Auswahl seines Materials ist, desto ungehemmter ist seine Kunst.  Mit, den Erbfaktoren verhält es sich nun einmal ähnlich wie mit den chemischen Grundstoffen des Apothekers.  Wenn er möglichst viele Grundstoffe getrennt oder in Verbindungen (die er lösen kann) besitzt, dann kann er desto besser allen etwa auftretenden Wünschen der Besteller gerecht werden.  Wenn auch ein chemischer Grundstoff für sich allein schädlich sein mag und einzeln gar nicht abgegeben werden darf, so wird er doch aufbewahrt, denn in anderer Verbindung kann er äußerst nützlich sein.

So falsch es wäre, das einheimische Bienenmaterial außer acht zu lassen, so bedenklich wäre es auch, das ausländische grundsätzlich auszuschließen.

Wo wir nun Fundstellen seltener Erbfaktoren erwarten dürfen ?  Auch indem Material, das uns täglich überall umgibt, das stark vermischt ist mit Zucht- und Handelsbienen, können seltene Erbfaktoren sich vorfinden.  Aber sie entdecken wäre ein bloßer Glückszufall; sie isolieren wäre fast unmöglich (bei der Inzuchtvorarbeit würden sie wohl meist in Verlust geraten).  In homozygotischem Zustand wird man diese seltenen Faktoren demnach am ehesten entdecken und verwerten können, dort, wobei abgesonderter Lage, wie gesagt, die Bienenzucht auf sehr primitiver Stufe steht, also bei Korbbienenständen in ganz entlegenen Gehöften, wo man seit Urgroßvaters Zeiten die Bienenpflege darauf beschränkt, die Standschwärme dem Stande wiederum einzuverleiben.  Auf diesen Ständen wäre es möglich, daß ein Inzuchtstammbaum bis in die Zeit zurückreicht, wo der Bienenhandel und Bienenimport noch unbekannt war.

Es ist nicht wahrscheinlich, daß es viele solcher Stände oder Standgruppen gibt.  Genaue zuverlässige Erhebungen über die Vorgeschichte des betreffenden Standes sind unerläßlich bei der Bewertung.

Es wäre eine sehr dankbare Aufgabe für weite Kreise rühriger Imkerzüchter, nach solchen Bienenständen zu fahnden und die betreffenden Erhebungen aufzuschreiben.  Der Verfasser glaubt, zwei solcher Vorkommnisse im Schwarzwald ausfindig gemacht zu haben.  Für weitere Mitteilungen wäre er sehr dankbar.

Insbesondere wäre es eine schöne Aufgabe für lokale Bienenzüchtervereinigungen, eigenartige und bewährte Landbienen ihres Striches ausfindig zu machen und mit Hilfe von Belegplatzbetrieb rein weiter zu züchten und so zur Lieferungsquelle jener Lokalrasse zu werden.

Die Lüneburger Heide kommt als Fundstelle kaum in Betracht.  Trotz des altehrwürdigen Stülpers ist dort die Bienenzucht nichts weniger als „primitiv“.  Die Wanderung ist dort schon seit Jahrhunderten im Schwang und der Bienenhandel schon seit geraumer Zeit.  Das Bienenmaterial ist weit weniger einheitlich, als man glaubt.  Verfasser hat im Herbst 1918  407 Völker der Zentralheide auf die Farbe untersucht, darunter auch solche, die seit zehn Jahren nicht mehr auf die Wanderschaft kamen.  Von den 407 Völkern waren der vierte Teil (106) von deutlich heller Rasse.  Die Mehrzahl der Bienen hatte helle bis sehr helle Chitinringe.  Zahlreiche Völker waren dabei überraschend einheitlich hell.

Die einheimischen „Landrassen“ müssen wir als Fundstellen wertvoller Erbfaktoren aufsuchen, prüfen und erhalten: In diesem Sinne: Naturschutz den „einheimischen Landrassen“.

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