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von Professor, Doktor Ludwig Armbruster Theodor Fisher Verlag 1919 |
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Das Wort Inzucht hat beim Laienzüchter einen üblen Beigeschmack. Offenbar wirken hier sittliche Anschauungen über ähnliche Vorkommnisse beim Menschen mit, ohne Zweifel aber auch die Erfahrungen der Züchter, namentlich der Tierzüchter.
Mancher dieser erfahrenen Züchter mag mit mancherlei Bedenken die häufigen Fälle zur Kenntnis genommen haben, in denen wir bisher von Inzucht, Selbstbefruchtung, Selbstung usw. redeten.
Es läßt sich aber nicht leugnen, daß der Züchter, der vorankommen will, zur Inzucht verhältnismäßig oft sich verstehen muß.
Wirkt Inzucht schädlich ? Zunächst läßt sich von vornherein sagen, Inzucht wird ebenso häufig nützen als schaden. Denn bei einer Aufspaltung können ebensogut erwünschte wie unerwünschte Eigenschaftszusammenstellungen entstehen.
Da aber der Züchter nicht nur erzeugt, sondern nach der Erzeugung vor allem sichtet (er erzeugt immer mehr, als er erhalten will, um möglichst scharf auslesen zu können), darum hat er die beste Gelegenheit, nur die guten Produkte der Inzucht am Leben zu erhalten. Das Mittelgut ist zwar auch bei der Spaltung in der Mehrzahl, bei fortgesetzter Inzucht wird es jedoch in die Minderheit gedrängt.
Wenn wir z. B. helle Farbe erzüchten wollen, dann bekommen wir durch Inzucht eine aufgespaltene Reihe, die hellere, aber auch dunklere Tiere umfaßt, als wenn wir Inzucht vermieden hätten. Indem wir die dunkeln und nicht minder das Mittelgut ausschalten, kommen wir eher zum hellen Farbenziel als unter Vermeidung von Inzucht. Die extrem hellen, durch Inzucht erhaltenen Tiere, sind nicht nur heller, sondern sie sind im allgemeinen auch rassenreiner.
Wenn hingegen in einer menschlichen Familie, in der erbliche Anlagen zu Geisteskrankheiten vorliegen, die sich nach dem Mendelschen Schema vererben, und zwar oft nach dem Schneckenbeispiel (die Anlage zur Krankheit ist oft rezessiv), dann wird bei naher Verwandtschaftsehe, große Kinderzahl vorausgesetzt, eher wahrscheinlich sein, daß eine Reihe von Kindern anscheinend gesund ist (die rezessive Krankheitsanlage kommt nicht zur Ausbildung), daß einzelne ganz gesund sind, einzelne jedoch schwer und erblich (homozygot) veranlagt sein werden zur Krankheit. Ein Sichten unter den Kindern der Verwandtschaftsehen ist hier natürlich ausgeschlossen. Sie werden alle heranwachsen, höchstens kann und soll man darauf hinwirken, daß die offensichtlich am schlimmsten belasteten sich nicht fortpflanzen.
Wenn aber eine Frau, die, ohne es zu wissen, die Anlage zu einer Geisteskrankheit besitzt, einen ganz fremden Mann ehelicht, dann ist es nicht gerade wahrscheinlich, daß dieser nun auch die Krankheitsanlage im Erbgut mit sich führt. Die Kinder dieser Ehe sind von der Mutterseite her teilweise mit der Krankheitsanlage behaftet. Bei dem Teile aber, der sie besitzt, wird sie nicht zum Durchbruch kommen können, weil die vom Vater ererbte Gesundheit dominiert. Homozygot geisteskranke Kinder können dieser Ehe nicht entspringen.
Die Verwandtschaftsehe beim Menschen kann zwar Gutes hervorbringen (Beispiele der Geschichte liegen vor), sie kann aber deutlich große, kaum vermeidbare Nachteile bringen. Der einzige direkte Vorteil, den sie böte, wäre der, daß man eher Erbformeln der unglücklichen Geschöpfe aufstellen könnte, Erbformeln, die uns dann nur noch trauriger stimmen müßten.
In der Tier- und Pflanzenzucht ist jedoch zum Glück die Ausmerzung des Unerwünschten ohne weiteres möglich, wenigstens bei Eigenschaften, die sich sofort feststellen lassen. So viel Grundsätzliches im Anschluß an die Theorie.
Nun aber das Tatsächliche auf Grund der Erfahrung:
Es gibt viele Formenkreise im Tier- und Pflanzenreiche, die sich überhaupt kaum anders fortpflanzen als durch Inzucht, durch Selbstbefruchtung, z. B. die wichtigsten Kulturgräser wie Weizen und Gerste, sodann andere Nutzpflanzen wie Bohnen und Erbsen, endlich viele niedere Tiere. Von Inzuchtsnachteilen kann hier keine Rede sein.
Es gibt viele Fälle aus der Geschichte der praktischen Tierzucht, wo die glänzendsten Erfolge, z. B. der Pferde-, Rindvieh- und Hundezucht, zurückzuführen sind z. B. auf einen Zuchthengst usw., der Inzuchtprodukt war.
Auch die Bienenzucht hat schon Beispiele genug geliefert; dem Verfasser stehen bei seinen Zuchtversuchen, die er auf Einladung des Herrn Professor Hartmann in Gemeinschaft mit diesem unterhält, auch solche Beispiele zu Gebote, wo Königinnen, längerer scharfer Inzucht entsprossen, Hervorragendes leisten.
Bei anderen Nutztieren, z. B. bei Ziegen [Vgl. Pusch-Weber 1912.], fand man aber, daß in einem Falle die Inzucht Erfreuliches hervorbrachte, im andern Falle Jammerprodukte.
Bei Pflanzen fand man besonders deutlich, daß es einzelne Individuen gibt, welchen die Inzucht nichts schadet, die, ähnlich wie manche Leute gegen den Bienenstich unempfänglich, sozusagen immun sind. Bei fortgesetzter Inzucht behalten diese ihren stattlichen Wuchs bei, während andere verkümmern. Die Inzucht schadet hier auf die Dauer nicht gerade, aber wenn nach einer Reihe von Inzuchtsfortpflanzungen wieder Fremdbestäubung angewandt wird, tut dies doch offensichtlich wohl.
Die Akten über die Inzucht sind natürlich noch längst nicht geschlossen. Man weiß tatsächlich noch wenig.
Als Züchterregel in diesem Punkt kann also offenbar gelten:
Bei der Biene keine unnötige Angst vor der Inzucht ! Die Inzucht, verbunden mit scharfer Sichtung, bringt Vorteile. Wende sie trotzdem nicht mehr an als nötig.
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So lautet eine der einschneidendsten Fragen der Vererbungs- und Züchtungslehre. Wenn es durch irgendwelche Mittel gelänge, etwa durch entsprechende Ernährung einen Schwarz-Faktor in einer schwarzen deutschen Biene zu beseitigen (unwirksam zu machen, irgendwie auszuschalten), dann würde offensichtlich das Bild der Brut sich bald verändern. Die Nachkommenschaft würde heller, denn alle Jungbienen erhielten von der Mutter ein Erbgut (Genotypus), das einen Schwarz-Faktor weniger hat.
Wäre die Mutter durch irgendwelche Mißhandlung oder durch ungünstiges Klima oder ähnliches um den Besitz eines Schwarz-Faktors gekommen, dann würden nicht nur die Mutter, sondern auch alle ihre Kinder, Enkel usw. die Spuren dieser Mißhandlung erblich an sich tragen.
Die Mutter würde etwas vererben, was sie nicht ererbt, sondern in ihrem persönlichen Leben erst erworben hat. Es läge vor die Vererbung einer erworbenen Eigenschaft.
Der Imker-Züchter sieht sofort ein, wie wichtig diese Frage ist für das Züchten. Es ist dann gar nicht gleichgültig, ob er z. B. die (künstlichen oder natürlichen) Weiselnäpfchen, in welchen er Larven von Zuchtvölkern umgelarvt hat, einem guten oder schlechten Pflegevolk gibt, ob er das Pflegevolk so oder so füttert. Es hinge dann außerordentlich viel davon ab, wie die gedeckelten Weiselzellen behandelt (bebrütet) werden, unter welchen Verhältnissen die jungen Königinnen schlüpfen und ihre erste Prinzessinnenzeit verbringen (in gut oder schlecht behandelten Begattungsvölkern usw.). Es hinge dann sehr viel davon ab, wie die Völker und damit die Königinnen und Drohnen behandelt und gehalten werden (Wohnungs-, Überwinterungs-, Triebfütterungs-, Absperrfragen), in welchen Trachtverhältnissen sie Generationen lang standen, und welchen klimatischen Verhältnissen sie kürzere oder längere Zeit ausgesetzt sind. Man müßte dann ohne weiteres damit rechnen, daß ein Volk, welches sich unter bestimmten Klima- und Trachtverhältnissen ausgezeichnet bewährt, in andere Verhältnisse gebracht, verblüffend rasch aus der Art schlägt.
Am Genotypus verändert werden, heißt ja aus der Art schlagen, und umgekehrt.
Daß der Theoretiker nicht minder als der Praktiker sich um die Antwort auf unsere Frage kümmert, ist klar, denn diese Antwort würde das Geheimnis entschleiern: Wie geht eine Art in eine andere über, wie sind unsere Arten entstanden, und wie können neue Arten entstehen ?
Also sind Veränderungen am Genotypus möglich ? Ja, diese Veränderungen sind möglich; sie sind zwar nicht verschwindend selten, aber seltener, als man für gewöhnlich annimmt. Und ,zwar sind diese seltenen Veränderungen wiederum nur zum Teil durch offenkundige Mißhandlungen hervorgebracht; sie entstehen auch ohne jeden nachweisbaren äußeren Anlaß.
Daraus folgt: ein Lebewesen kann viele Mißhandlungen ertragen, ohne daß es aus der Art schlägt (am Genotypus, Erbgut verändert wird), und die beste Behandlung, kann nicht verhindern, daß in ganz seltenen Fällen ein Lebewesen aus der Art schlägt; das heißt aber, praktisch gesprochen: der Züchter braucht sich tatsächlich in seinen züchterischen Plänen und Maßnahmen um ein Aus-der-Art-schlagen so gut wie gar nicht zu kümmern, wenigstens bis auf weiteres nicht. Sorgfältige Pflege seiner Tiere wird bei jedem Imker-Züchter vorausgesetzt. Da diese Antwort anders ausgefallen ist, als der oder jener erwartet haben mag, auf jeden Fall in Widerspruch steht zu manchen landläufigen Ansichten und Maßnahmen, wollen wir einige Sonderfragen noch eigens behandeln: 1. Unter welchen Umständen sind plötzlich auftretende Veränderungen am Genotypus beobachtet worden?, und 2. Gibt es eine Vererbung erworbener Eigenschaften?
Fürs erste merken wir uns wohl:
Nur Veränderungen am Genotypus sind erblich.