Bienenzüchtungskunde

 

von Ludwig Armbruster
Theodor Fisher Verlag
1919

 

Belichtetes I. theoretischer Teil
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on den Zuchtzielen.

Das erste und letzte beim Züchten ist das Zuchtziel.  So sollte es wenigstens sein.  Merkwürdigerweise besteht in der Tierzucht, auch in der Bienenzucht, eine ganz ungewöhnliche Unklarheit schon darüber, was man will, noch mehr aber darüber, ob sich erreichen läßt, was man erstrebt, am meisten darüber, welches die kürzesten Wege zum Zuchtziele sind.  Wenn Zweifel darüber bestehen, ob sich erreichen läßt, was man erstrebt, so ist das nicht besonders schlimm.  Trotz des Zweifels ist ein Versuch nicht nur erlaubt, sondern wünschenswert.  „Probieren geht über Studieren“.  Zum Glück lehrt übrigens die Theorie,

 1.  daß es unter den so verschiedenen Eigenschaften eines höheren Organismus kaum eine Gruppe gibt, die sich nicht den neuentdeckten Vererbungsgesetzen fügt.  Mit all diesen Eigenschaften kann also in unserem Sinne gezüchtet werden;

 2.  daß die Eigenschaften in den wildesten, kaum vorstellbaren Verbindungen an ein und demselben Organismus auftreten können, daß man also ja nicht schließen darf, man hat bisher gewisse merkwürdige Eigenschaften noch nie an ein und derselben Biene beisammengefunden, beispielsweise extremste Schwarmträgheit und ganz goldgelbe Farbe, folglich kann der Züchter auch nie und nimmer eine solche Biene erzüchten. 

Das ist falsch.  Nicht minder das Gegenteil, wenn man mit J.  Hübner 1918 z. B. sagen wollte, Sammeleifer und Schwarmeifer sind immer beisammen gewesen („weil Schwarmeifer durch Honigeifer bedingt ist“, eine falsche Voraussetzung !), folglich ist es unmöglich, eine schwarmträge Rasse zu züchten, die zugleich honigeifrig ist.  Noch keiner der Leser wird eine Schnecke gesehen haben, bei der die Farbenbänder von der Spitze quer über die Schneckenumgänge von oben nach unten verlaufen.  Trotzdem hat der Vererbungsforscher Lang in kürzester Zeit solch einen Naturscherz erzüchtet; gelingt es doch sogar, so oft man will, Pflanzen zu züchten, denen sozusagen ein Teil des Verdauungsapparates fehlt: weiße Pflanzen ohne Blattgrün, die nur dadurch am Leben erhalten werden, daß man sie auf normale Pflanzen aufpfropft; also an sich ist selbst das Unwahrscheinlichste dem Züchter möglich.

Doch nun zur Hauptfrage: was ist das Zuchtziel der Bienenzüchtung.  Es ist gut, sich klar zu machen, daß auch bei der Biene wenigstens ein dreifaches Zuchtzie1 denkbar ist: ein sportliches, ein wissenschaft1iches und ein wirtschaftliches.

 a)  Von diesen dreien spielt das sportliche Zuchtziel bis auf den heutigen Tag keine geringe Rolle.  Der Herrenimker, welcher um jeden Preis, selbst auf die Gefahr größter Winterverluste und der Gefahr des sich Kahlschwärmens hin eine „ganz goldene“ Biene, eine „very bright golden all over“ auf dem Stande haben will — Liebhabereien, denen wahrscheinlich schon die alten Römer gehuldigt —, oder der Liebhaber, der erst dann zufrieden ist, wenn er Bienen hat so schwarz wie „ein polierter Affe“ (so schrieb ein witziger Imker), der hat zwar ein Zuchtziel, aber es ist ein rein sportliches.

 b)  Der Forscher kann ähnliche Ziele haben, aber er will z. B. studieren, wieweit sich das Züchten von Bienen mit pigmentlosem Chitin (farbstofflosem Panzer) treiben läßt, oder er will bei seinen Vererbungsversuchen den leicht erkennbaren Grundunterschied schwarz-goldgelb sich zunutze machen, er hat aber — vielleicht? — am Bienenhonig kein weiteres Interesse.  Solch ein Forscher hat sich ein wissenschaftliches Zuchtziel gesteckt.  Züchtung auf eine bestimmt gefärbte Biene hin, gewöhnlich Farbenzucht genannt, kann also ebensogut Sportzucht wie ernste, wissenschaftliche Arbeit sein.

Man hat bei der Biene zu unterscheiden zwischen drei Zuchtzielen:

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as wirtschaftliche Zuchtziel.

 1.  Gehört die Farbe auch zu den wirtschaftlichen Zuchtzielen? Das ist die große Frage, die wir zunächst noch nicht beantworten können.  In diesem Punkte einige Klarheit zu schaffen, wird eine Hauptaufgabe vorliegender Arbeit sein.  Dzierzon und die meisten „Züchter“ im Zeitalter der „Akklimatisation“ waren ohne Zweifel überzeugt, nicht nur eine schöne, sondern auch eine sehr honigeifrige usw.  wirtschaftlich überlegene Biene zu züchten.  Nicht minder sind umgekehrt die meisten der heutigen Farben–Rassenzüchter überzeugt, die wirtschaftlich beste Biene für unser Klima müsse schwarz aussehen.  Doch betrachten wir nun wirtschaftliche Zuchtziele, die weniger hart umstritten sind.

 2.  Hinsichtlich der Schwarmlust besteht wenigstens erfreuliche Übereinstimmung unter den „Imkern ohne ausgesprochene Spättracht“.  Sie sind schon seit Jahrhunderten überzeugt, daß das viele Schwärmen unwirtschaftlich ist, und hätten am liebsten eine Biene, die gar nicht schwärmt.  Die Vermehrung der Volkszahl und die Erneuerung der Königinnen würde hierbei ihnen wenig Schwierigkeiten machen.

Daß der Handelsbienenzüchter eine schwarmeifrige Biene züchtet, ist für ihn selbst von Vorteil, ob aber auch für die Bienenzucht als solche ? Der Heidebienenzüchter wünscht sich auch heute noch eine schwarmeifrige Biene; daß er mit einer schwarmeifrigen Biene ausgezeichnet zu wirtschaften versteht, darüber besteht kein Zweifel.  Ob aber nicht auch bei den Heideimkern die schwarmträge Rasse als besseres Zuchtziel der Feind des Guten ist ? Die Lüneburger Betriebsweise müßte man dann freilich etwas abändern.  Wenn auch jetzt noch die schwarmeifrige Rasse bei einem Heideimker Gefallen findet, hat dies auch unleugbare Vorteile für die Bienenzucht im ganzen: jene Gegenden sind eine billige Bezugsquelle von lebendem Bienenmaterial (nackte, abgetrommelte Völker im Herbst), das man leicht veredeln kann.

Die Fragen, welche Rasse entspricht dem Zuchtziel der Schwarmträgheit, an welchem äußeren Merkmal kann man schwarmträge Rassen erkennen, wie läßt sich die Schwarmträgheit steigern, können wir natürlich hier noch nicht beantworten.

 3.  Mit der Eigenschaft der Schwarmlust hängt zusammen der Bruteifer.  Der Bruteifer braucht nicht notwendig mit der Fruchtbarkeit der Königin Hand in Hand zu gehen.  Ein Brütervolk liefert das ganze Jahr Brut, vom zeitigsten Frühjahr bis in den Herbst.  Andere Völker fangen spät im Frühjahr an, holen aber die Frühbrüter an Volksstärke ein, lassen dann im Bruteinschlag nach, wenn die Tracht schlechter wird.  Die letztere Art erscheint den Imkern, welche sich der Schwarmträgheit als Zuchtziel verschrieben haben, als die bessere.  Der Handels- und Schwarmbienenzüchter braucht Brüter; auch dem Rassenzüchter leisten einzelne Brütevölker gute Dienste bei seinen Zuchtbestrebungen (als Pflegevölker, wie wir noch sehen werden).  Jedenfalls muß das Brutnest stets in Ordnung, die bedeckelte Brut geschlossen „dastehen wie ein Brett“, um einen Lüneburger Ausdruck zu gebrauchen.

 4.  Daß die Idealbiene möglichst unempfänglich sein soll gegen Krankheiten, darüber sind alle einig.  Daß sich einzelne Völker hierin verschieden verhalten, ist wahrscheinlich; genauere Angaben darüber fehlen allerdings.

 5.  Noch selbstverständlicher ist, daß die Biene möglichst viel Vorräte, Pollen und namentlich Honig (ob auch Wachs?) liefern, also honigeifrig sein soll, nur ist man sich noch nicht ganz klar, welche der verschiedenen Zuchteigenschaften der Biene außer der Schwarmträgheit mithelfen zu guten Honigerträgen.  Abgesehen von einigen mit der Schwarmträgheit zusammenhängenden Eigenschaften, z. B. ausgesprochene Neigung zum stillen Umweiseln, maßvolles Erbrüten von Drohnen (als Schmarotzern an den Vorräten), kommen in Frage:

 a)  Eigenschaften des Körperbaues (morphologisch-anatomische Eigenschaften) : also größere Zungenlänge, Tüchtigkeit der übrigen Sammelapparate, Körpergröße (Größe der Honigblase), kräftiger Flugapparat.

 b)  Einzelne Lebensgewohnheiten (physiologische Eigenschaften), die Geneigtheit, auch bei trüberem oder kühlerem Wetter auf Tracht zu fliegen, ausgesprochener Spürsinn, gutes Flugvermögen (um entferntere Tracht quellen noch zu erreichen), Blumenstetigkeit (wenn die Biene z. B. an einem Tage nur eine einzige Blumenart besucht, hat sie den Vorteil des Akkordarbeiters, der nur immer die gleichen Handgriffe auszuüben hat und darin riesige Gewandtheit und Sicherheit gewinnt), lange Lebensdauer der Arbeiterin.

 6.  Die Idealbiene soll ein sanftmütiges Temperament haben, trotzdem aber sich gegen Räuber mutig und wehrbereit zeigen.

 7.  Daß der Züchter in rauherem Klima darauf sehen muß, daß seine Biene wetterhart ist, erscheint klar.  Eine Biene, die schon bei 12°C erstarrt, ist nicht wetterhart, ebensowenig jene, die im Winter nur schwer eine geschlossene Wintertraube zwischen den Waben bildet, vielmehr bei jedem geringsten Temperaturanstieg unruhig wird und stärker zu zehren beginnt.

 8.  Zur Fähigkeit, gut zu überwintern, endlich gehören eine Reihe guter erstrebenswerter Bieneneigenschaften, u. a. stark zu verkitten (mit Propolis), wenig sich aufregen zu lassen (durch Temperaturschwankungen, Störungen usw., besonders nicht im vorzeitigen Frühjahr), guter Verdauungsapparat.

Das wirtschaftliche Zuchtziel erstreckt sich, abgesehen von der Farbe, auf    Schwarmträgheit  —  Fruchtbarkeit  —  Krankheitsfestigkeit  —  Sammeleifer (mit all seinen Vorbedingungen)  —  sanftmütiges Temperament  —  Wetter– und Winterfestigkeit.

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